Direkt zum Hauptbereich

Diskussion um den Ursprung der Corona-Pandemie: Wildtiermarkt oder Labor in Wuhan?

wuhan_institut_of_virology

Mitglieder der WHO-Kommission treffen an einer Forschungsabteilung des "Wuhan Institutes of Virology" ein. Liegt hier der Ursprung der Covid-19 - Epidemie? (Bild:  kyodonews.net 03.02.21)  

huanan_seafood_market
Oder war es hier? Huanan Seafood Wholesale Market (Bild:dtnext.in 28.03.20

Weltweit vertritt ein großer Teil der Virologen und Epidemiologen die These vom Ausgang der Pandemie vom "Huanan Seafood Wholesale Market", die auch anfänglich von der chinesischen Regierung vertreten wurde (dann ließ sie die Auffassung propagieren, das Virus sei aus dem Ausland eingeschleppt worden, womöglich über Gefrierfleisch. Heute wird in China die Behauptung verbreitet, das Corona-Virus sei in einem US-Militärlabor entstanden und von dort bei den Militärweltspielen im Herbst 2019 nach Wuhan gelangt). 

Von Anfang an gab es Stimmen, die  behaupteten, das Virus sei durch einen  "Laborunfall" freigesetzt worden. Dies wurde vielfach als "Verschwörungstheorie" abgetan. Inzwischen haben sich aber Indizien für die Labortunfallthese gehäuft, sodass auch Wissenschaftler sie als möglich ansehen. 

Der ntv-Dokumentarfilm "Brisante Spurensuche - Woher kam das Coronavirus wirklich?" geht Spuren nach, die für die Laborunfallthese sprechen. https://www.tvnow.de/filme. Die aus England stammende Dokumentation wurde unter Mitwirkung von Fachleuten erstellt.

Drei neue Untersuchungen, eine chinesische und zwei amerikanische, die letzteren in dem Wissenschaftsjournal "Science" veröffentlicht, haben die Diskussion erneut belebt. Ich werde auf sie in der Folge eingehen.

Ein starker Schub für die Laborunfall-These: Wiesendangers Studie 2021

Ich beginne aber mit einer Veröffentlichung, durch die die Laborunfallthese einen starken Schub erhielt. Es ist dies die "Studie zum Ursprung der Corona-Virus Pandemie" von dem renommierten Hamburger Physiker Roland Wiesendanger (veröffentlicht am 14.02.21 in ResearchGate). Auf Grund von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und sonstigen Dokumenten will er einen Indiziennachweis führen, dass das Auftreten des Virus keine "Naturkatastrophe" gewesen, sondern  seinen Ursprung im "Wuhan Institute of Virologie" habe und damit menschengemacht sei. [In diesem Institut  erfolgte zum ersten Mal die Identifizierung ("Sequenzierung") des Sars-Cov-2-Virusgenoms.]

Da die "Studie" nicht durch eine Vorprüfung durch andere Wissenschaftler gegangen sei, der Verfasser auch umstrittene Quellen benutzt habe und sie nichts eigenständig Neues bringe, wurde  der Veröffentlichung "Unwissenschaftlichkeit" vorgeworfen. Dies geht aber an den Intentionen Wiesendangers vorbei, der nicht beabsichtigte eine virologischen Fachuntersuchung zu liefern, sondern eine Recherche für eine Hypothese, die er in die öffentliche Diskussion bringen wollte. Es ist auch klar, dass seine Ausführungen politische Brisanz haben und manche Virologen und virologische Forschungsinstitute in Frage stellen. Schon von daher war Widerspruch zu erwarten.

Durch die von Wiesendanger vorgelegten Dokumente wird erhärtet, dass

1. "eine Forschergruppe am ´Wuhan Institute of Virology`... über viele Jahre hinweg nicht nur natürlich vorkommende Coronaviren untersucht, sondern diese gentechnisch manipuliert [hat] mit dem Ziel, diese für den Menschen ansteckender und gefährlicher zu machen" - angeblich um ihre mögliche Auswirkung auf Menschen zu erforschen und sie so bei einer eventuellen Pandemie besser bekämpfen zu können („Gain-of-function"-Forschung / "Funktionsgewinn"- Forschung).

2. Sicherheitsmängel an diesem Institut bereits vor Ausbruch der Pandemie bestanden.  

Darüber hinaus hält es Wiesendanger für wahrscheinlich, dass der Sars-Cov-2-Virus eine künstliche Mutante eines im Kot von Hufeisennasenfledermäusen zu findenden Corona-Virus sei, die in "Virologischen Institut von Wuhan" durch genetische Manipulation hergestellt wurde. [Tatsächlich wurden solche "Gain-of-Function"-Experimente mit Sars-CoV-2 nahen Corona-Viren aus Fledermäusen in dem Institut vorgenommen]

Die oben genannte ntv-Filmdokumentation meint Indizien gefunden zu haben, die darauf hinweisen, dass das Virus ursprünglich aus einem US-Labor stammt. Auf Grund eines von der Obama-Regierung verfügten Forschungs-Moratoriums und der Zusammenarbeit der USA-Forscher mit dem "Wuhan Institute of Virology" sei das Virusmaterial dorthin ausgelagert worden.

Soweit geht Wiesendanger nicht. Er vermutet, dass das veränderte Virus im Wuhaner Institut entstanden sei. Die Art der im Institut vorgenommenen Veränderung des Virus lasse auch die überraschende Menschenangepasstheit der neuen "Virus-Chimäre" verstehen. Die Fledermäuse kämen gar nicht in der Gegend von Wuhan vor, seien nicht auf dem Markt von Wuhan angeboten worden und ein Zwischenwirt-Tier habe sich bisher nicht nachweisen lassen. Als wichtiges Indiz betrachtet er, dass ein Teil der Erstinfizierten keinen Kontakt mit dem Markt und seinen Produkte hatte. Wiesendanger nimmt an, dass eine heute verschwundene Mitarbeiterin des Instituts (namens Huan Yan Ling) sich als erste - wohl schon im Oktober 2019 - mit dem neuartigen Virus im Labor infiziert habe und dies als Ausgangspunkt der Sars-Cov-2-Virusverbreitung zu betrachten sei.

Wiesendanger geht es darum, darauf hinzuweisen, dass die "Wildtiermarktursprungs-These" - obwohl unbewiesen - zu voreilig überwiegende Geltung gefunden habe. In Hinsicht auf den Ursprung der Pandemie und "gegenwärtige und zukünftige Maßnahmen" sei es wichtig, auch der "Laborunfall-These" nachzugehen. Im übrigen will er die Öffentlichkeit auf die Gefährlichkeit der "Gain-of-function"-Forschung aufmerksam machen.

Zhengli Shi, führende Corona-Viren-Forscherin und Direktorin einer Abteilung des "Virologischen Instituts von Wuhan" (WIV) - als Teil der "Chinesischen Akademie der Wissenschaften" (CAS) - eine Regierungseinrichtung! - hat den Verdacht, dass der Sars-Cov-2-Virus ihrem Forschungslabor entsprungen sei, scharf zurückgewiesen. Die wegen ihrer Fledermaus-Forschungen scherzhaft als "Bat woman" bezeichnete Professorin hat zwar Ende 2019 mit ihren Kollegen das Virus identifiziert, bestreitet aber vorher von ihm gewußt oder Kontakt mit ihm gehabt zu haben.  

Die WHO-Experten-Kommission brachte nach ihrem Besuch in China Anfang des Jahres 2021 in der Frage nach dem Ursprung des Virus keine neuen Erkenntnisse zurück und schließt sich dem verbreiteten Konsens an. Im Bericht

Report of the WHO-China Joint Mission on Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) / 16-24.02.2021

heißt es, es "scheine", dass das Ursprungsreservoir des Covid-19-Virus Fledermäuse seien, aber  Zwischenwirte konnten noch nicht identifiziert werden. "Man glaube", frühe Fälle in Wuhan  gingen auf eine "zoonotische [von Tieren herkommende  Infektions-] Quelle auf dem Wuhaner Markt zurück. Auf die "Laborunfallthese" geht der Bericht nicht ein. Seltsamerweise werden im Anhang des Berichts das virologische Institut in Wuhan und der (geschlossene) Markt nicht als Besuchsorte aufgeführt. Wie aber Zeitungsberichte und Bilder belegen, hat zumindest ein Teil des Teams - unter ihnen der Leiter der nichtchinesischen Mitgliedergruppe, der Ernährungswissenschaftler Peter Ben Embarek, und der Zoologe Peter Daszak das Labor Zhengli Shis besucht und konnten auch mit ihr und ihren Mitarbeitern sprechen. Ob Ben Embarek und Daszak die geeigneten Männer waren, um kritische Nachprüfungen an Ort und Stelle vorzunehmen, kann man bezweifeln - wenn ihnen das überhaupt möglich gewesen wäre. Embarek beriet die chinesische Regierung in Ernährungsfragen und Daszak arbeitet eng mit Zhengli Shi zusammen. Er steht im Verdacht, das gefährliche Virusmaterial  in das Wuhan Institut verbracht zu haben. Natürlich wird die chinesische Forscherin bei dem Besuch alles unternommen haben, um ihr Institut im besten Licht erscheinen zu lassen. Eine Voreingenommenheit zu Gunsten Shis könnte auch daraus resultieren, dass ihr Institut Partnerschaften in aller Welt pflegt. So wurde die Fledermaus-Viren-Forschung von Partnereinrichtungen in den USA und Australien unterstützt, auch finanziell. 

Nach Aussage Ben Embarek auf der Abschlusspressekonferenz am 09.02.21 in Wuhan hält die Kommission einen Laborunfall als Ursache des Covid-19-Ausbruches für "extrem unwahrscheinlich". In einem Interview mit Science.mag erläutert  Ben Embarek diese Formulierung und fügt hinzu:

"The fact that we assessed this hypothesis as extremely unlikely doesn’t mean it’s ruled out." ( Die Tatsache, dass wir diese Hypothese als äußerst unwahrscheinlich bewerteten, heißt nicht, dass sie ausgespielt hätte.)

Dabei sollte man beachten, dass bei der ganzen Mission und der Pressekonferenz "Politik im Raum war", chinesische Wissenschaftler sowie andere Teilnehmer der "gemischten" (joint) Kommission angehörten und Mitglieder wie Ben Embarek und Daszak offizielle Beziehungen zu China hatten und als chinafreundlich gelten. (Im oben verlinkten Abschlussbericht werden beide seltsamerweise in der Teilnehmerliste nicht angeführt.)  Die Kommission beklagt, dass China Daten zurückhält, was wohl auch die Frage nach der Rolle des Instituts schwierig macht. (Die Datenbank des Instituts wurde inzwischen gesperrt.) Im Bericht wird von einer "Wissenslücke" in Hinsicht auf die ersten Fälle gesprochen, deren "Ausgesetztsein" (exposure) "nicht identifiziert werden konnte". Tatsächlich lässt die chinesische Regierung bei ihren Wissenschaftlern Forschungen zum Ursprung des Virus nicht unkontrolliert zu.

Ich war nach der Durchsicht der "Studie" Wiesendangers nicht geneigt, in den Chor der Kritiker einzustimmen, sondern habe vertreten (Anhang im Link), dass angesichts der ungeklärten Frage nach dem Ausgangspunkt der Pandemie die Thesen und Recherchen Wiesendangers unvoreingenommen geprüft werden müssten. 

Drei neue Untersuchungen, die die Laborunfall-These in Frage stellen

Am 26/07/22 wurde in Science eine Untersuchung zum Ursprung der Covid-19 veröffentlicht, für die der  renommierte Evolutionsbiologe Michael Worobey, tätig an der Universität von Arizona in Tucson, an erster Stelle zeichnet. Titel:

The Huanan Seafood Wholesale Market in Wuhan was the early epicenter of the COVID-19 pandemic

Worobey gehörte zu den Wissenschaftlern, die der Laborunfall-These für diskutabel hielten und ihre Prüfung forderte. Der von ihm und Kollegen/Kolleginnen durchgeführten Studie  gingen zwei Preprint-Fassungen voraus, die der Begutachtung durch Experteneinrichtungen unterzogen wurden. Finanziert wurden die Untersuchungen von staatlich-nationalen Gesundheitseinrichtungen in den USA. Einer der Co-Autoren war Mitglied der zweiten WHO-Mission in China und Berater des Provinzzentrums für Krankheitskontrolle in Guangdong, einer Provinz, die 2002-2004 vom Ausbruch des Sars-CoV-1-Virus betroffen war. Der Ausbruch wurde auf infizierte Tiere zurückgeführt. 

Die Untersuchung wurde nicht "vor Ort" vorgenommen, sondern stützt sich auf Daten, die über den Erstausbruch von Covid-19 in Wuhan vorliegen. In erster Linie sind dies Daten, die von Mitarbeitern des "Chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -verhütung" (China CDC) erhoben wurden (siehe Besprechung der dritten Studie unten), auf die sich auch der Bericht der WHO-Mission stützt.

Worobey hält es für nicht mehr plausibel, dass das Virus auf andere Weise als durch Wildtierhandel auf den Markt in Wuhan eingeschleppt wurde. Für ihn ist es evident, dass der Anfang der Pandemie an Verkaufständen einer Ecke des "Huanan Seafood Wholesale Market" in Wuhan liegt. Dort wurden nicht nur Fische und Meeresfrüchte, sondern auch Wildtiere und Wildtierprodukte verkauft.

In der Untersuchung wurde die geografische Verteilung der ersten dokumentierten Covid-19-Fälle im Dezember 2019 analysiert, wobei sich zeigte, dass diese eng um den Huanan-Markt in Wuhan angesiedelt waren. Auch Patienten, die mit dem Markt nicht in Verbindung gebracht wurden, lebten in unmittelbarer Nähe des Marktes. Dieser Stadtteil der Millionenstadt ist sehr dicht besiedelt.

Das Forschungteam bezieht sich auf zahlreiche "Umgebungsproben" - meist Abstriche -, die im Januar 2020 von Mitarbeitern des China CDC an Tierkäfigen, Kühlschränken und anderen Gegenständen bei oder auf Verkaufsständen im südwestlichen Teil des Marktes entnommen wurden. Außerdem nahm man Proben am Boden, an Oberflächen und aus Brunnen sowie der Kanalisation. Von 1380 Proben fand man durch PCR-Analyse in 73 von ihnen Sars-CoV-2-Viren. An den Ständen wurden lebende Wildtiere wie Füchse, Marderhunde, Dachse, ihr Fleisch und Felle gehandelt. Die Wildtiere werden oft illegal gefangen oder in Farmen gehalten und leben unter beengten und unhygienischen Verhältnissen. Das gilt auch für den Transport und den Markt. Die Tiere könnten Träger des Virus gewesen sein. Sie wurden aus Provinzen nach Wuhan gebracht, wo es Höhlen gibt, in denen Fledermäuse leben, die Corona-Viren verschiedener Art in sich tragen und ausscheiden. Unklar bleibt aber, wie und wo sich das menschenbezogene Sars-CoV-2-Virus entwickelt hat und über welche Zwischenwirte es oder Vorläufer von ihm in den Markt von Wuhan gelangt sein könnten.

Auf Grund von Genomanlysen der Viren, die bei den ersten Erkrankten gefunden wurden, stellte sich heraus, dass es zwei Abstammungslinien des Erregers gab. Eine der Linien lässt sich mit den Virenfunden an den Markständen direkt verbinden, was bei der zweiten Linie nicht der Fall ist Dennoch nehmen die Forscher an, dass auch die zweite Linie durch räumliche Nähe der Krankheitsfälle zum Markt  mit diesem verbunden war - was nur vermutet werden kann. Demnach führen die Untersucher den "Spillover", das Überspringen beider Abstammungslinien auf Menschen im November und Dezember 2019 auf den Markt als Ereignisort zurück. Dabei gehen sie davon aus, dass die Übertragung von Kontakten mit Tieren ausging. Dieser Schluss liegt nahe; dass es so war, lässt sich allerdings nicht zweifelsfrei nachweisen. Keine der in Frage kommenden Markttiere wurden auf das Sars-CoV-2-Virus hin getestet. Auch bei nach der Schließung des Marktes vorgenommenen Proben an sichergestellten Tierkörpern und im Markt streunenden Tieren ergaben sich keine Hinweise auf Sars-CoV-2-Virus-Befall. Marderhunde scheinen aber anfällig für das Sars-Cov-2-Virus zu sein.

Die Forscher halten es für unwahrscheinlich, dass vor diesen Ereignissen das Virus unter Menschen zirkuliert sei. Auf Indizien, die auf einen früheren Ausbruch durch Infektionen im "Virologischen Institut von Wuhan" hindeuten, gehen sie nicht ein. Tatsächlich sind diese "Überlieferungen" vorerst weder verifizierbar noch falsifizierbar.

Die Lücken der Beweisführung in der Untersuchung sind den Forschern bewußt. Hier halten sie weitere Nachforschungen für notwenig. Dennoch gehen sie von der Evidenz ihrer Schlussfolgerungen aus:

"Unsere Analysen zeigen, dass die Entstehung von Sars-CoV-2 über den Handel mit Wildtieren in China erfolgte, und zeigen, das der Huanan-Markt das Epizentrum [Herd] der Covid-19-Pandemie war."

Überblickt man die Untersuchung kritisch. so wird man sagen müssen, dass sie methodisch sorgfältig durchgeführt wurde, Ergebnisse und Schlussfolgerungen plausibel erscheinen. Evident, also unmittelbar einleuchtend oder sicher bestätigt, ist die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Corona-Pandemie nicht. Die der Untersuchung zugrunde liegende Hypothese liegt - wie so oft bei wissenschaftllichen Untersuchungen - im Bereich der Wahrscheinlichkeit.

Die zweite hier zu referierende Untersuchung - ebenfalls im Juli 2022 in Science veröffentlicht - ist virologisch ausgerichtet, im Gegensatz zur vorigen, die stärker epidemiologisch orientiert ist. Sie beschäftigt sich mit dem Genom (Erbgut) der auf dem Wuhan-Markt und bei den Ersterkranken gefundenen Sars-Cov-Virenstämme und zieht Schlüsse über ihre Herkunft:

The molecular epidemiology of multiple zoonotic origins of SARS-CoV-2

Das große Autorenteam ist international zusammengesetzt, vorwiegend mit Wissenschaftlern kalifornischer und amerikanischer, aber auch asiatischer Universitäten. Finanziert wurde die Studie - wie die obige - von denselben US-Gesundheitseinrichtungen. 

Die Autoren greifen auf Daten in chinesischen und internationalen Veröffentlichungen sowie internationalen Datenbanken zurück.

Die Untersuchenden bestätigen durch ihre Analyse, dass die Diversität der Sars-CoV-2-Viren vor Februar 2020 in zwei verschiedenen Abstammungslinien bestand, A und B, die sich in den Genomen unterscheiden. A ist die ältere Variante, B die spätere und verbreitetere. Mit A verwandte Corona-Viren wurden in Fledermäusen gefunden. Die frühesten bei Menschen entnommenen A-Genom-Samples lassen sich nicht auf direkte Marktkontakte zurückführen, wurden aber von Erkrankten entnommen, die im Umkreis des Marktes lebten.

Die Ausbrüche in Wuhan führen die Wissenschaftler auf zwei Ereignisse im Markt zurück, bei denen sich  Personen  infizierten. Das erste, mit der Linie B, berechnen die Forscher auf/um den 18. Nov. 2019, wahrscheinlich ausgehend von einem Wildtierverkäufer (oder einer Verkäuferin), an dessem/deren Stand Sars-CoV-2-Viren gefunden wurden. Für die zweite Übertragung mit der Linie A geben die Untersucher den 25. Nov.an.

Rekonstruktion von Vorläufern, genetische Vergleiche und Simulationen führten die Forscher dazu, anzunehmen, dass die Einführung der Linien A und B in die Menschenwelt durch verschiedene Virenstämme geschah und getrennte Ereignisse waren.

Auch diese Forscher sehen keine Hinweise, dass vor dem Dezember 2019 Sars-CoV-2-Viren in "erheblicher" (substancial) Weise, "kryptisch" oder festgestellt, zirkulierten. Sie belegen das mit dem Hinweis auf Tausende klinischer Blutproben, die in Krankenhäusern oder bei Blutspenden von September bis Dezember 2019 entnommen wurden. Unter ihnen fand man keine einzige Sars-CoV-2-positive Probe. Sie geben aber zu, dass es "wahrscheinlich mehrere fehlgeschlagene Einführungen von Sars-CoV-2 gab." An anderer Stelle räumen sie ein, "dass es eine begrenzte kryptische Ausbreitung gab, mit höchstens Dutzenden von Sars-CoV-2-Infektionen in den Wochen vor dem gefolgerten tMRCA [Most recent common Ancestor = letzter gemeinsamer Vorfahr]". Damit bleibt ein Türchen für die Laborunfallthese offen.

Aus der Zurückführung des Übersprungs der beiden Sars-CoV-2-Linien auf Ereignisse im Wuhan-Markt schließen die Forscher auch, dass es sich um "zoonotische", also von Tieren ausgehende Übertragungen gehandelt haben müsse. Sie räumen aber ein, es gebe "keinen direkten Beweis für ein eng mit Sars-CovV-2 verwandtes Virus bei nichtmenschlichen Säugetieren [sic!]". Entscheidend für die Hypothese des zoonotischen Ursprungs der Übertragung sei auch, dass es kurz vor und nach der Schließung des Marktes (01/12/20) keine Hinweise auf weitere zoonotische Einschleppungen gegeben habe. 

Da die Linie A genetisch näher an den bei Fledermäusen gefundenen Corona-Viren steht, nehmen die Untersucher an, dass der "Vorfahr" von Sars-CoV-2 aus dieser Linie stamme. (B müsste dann eine möglicherweise menschengeignetere Variante sein.) Aus der Dominanz der Linie B im frühen Stadium der Pandemie schließen sie, dass diese Linie sich früher als A unter Menschen ausgebreitet habe. Das "Paradox", dass sich zwei verschiedene Viruslinien in getrennten Ereignissen unter Menschen ausbreiteten, wollen sie durch die Annahme auflösen, dass "Vorläuferviren der Linien A und B zusammen in nichtmenschlichen Säugetieren vor ihrer Einführung in Menschen zirkulierten."

Der Übersprung von Tieren auf den Menschen zeige, dass das Sars-CoV-2-Virus ein "Wirtsgeneralist" sei. Die einzige verbleibende Barriere für den Spillover ist der [fehlende] Kontakt zwischen Menschen und Erreger."

Die beiden referierten Untersuchungen ergänzen sich, indem sie unter verschiedenen Forschungsperspektiven die Hypothese der "Wuhan-Markt-Ursprunges" beliefern. Vor allem die letzte Studie legt es nahe, dass mit erhöhter Wahrscheinlichkeit der Wuhaner Markt der Ausgangsort der Pandemie war. Die Untersuchung verstärkt auch die Hypothese, dass dabei der Übergang von Sars-CoV-2-Viren - auf Menschen über Kontakte mit lebenden Tieren oder tierische Produkte stattfand.

Da hier aber ein "missing link" zu konstatieren ist - der Nachweis eines infizierten Tieres fehlt - ist die Annahme, dass Sars-CoV-2-Viren von Tieren im Markt auf Menschen übergesprungen seien, nicht so sicher wie die Autoren beider Studien meinen. Die Korrelation zwischen einer unsicheren Gegebenheit, hier Tieren, die potentiell Überträger des Virus hätten sein können, und einem sicheren Befund, hier infizierten Menschen, ist kein stringenter Beweis für eine Kausalbeziehung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Covid-19 von Menschen in den Markt eingeschleppt wurde, die sich anderen Ortes angesteckt haben.

Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass es vorhergehende Übersprünge des Virus gab, die endeten oder kryptisch weiterliefen, sei es durch tierische Kontakte oder Laborunfälle. 

Es besteht allerdings wenig Aussicht hier erfolgreich weiter zu "bohren", da die chinesische Regierung dies nicht wünscht und den Zugang zu eventuell aufschlussreichen, aber vielleicht kompromittierenden Daten und Dokumenten verhindert.

Eine dritte, schon vorhergehende chinesische Studie relativiert die beiden amerikanischen Untersuchungen: 

Surveillance of SARS-CoV-2 in the environment and animal samples of the Huanan Seafood Market

 

An erster Stelle der zahlreichen chinesischen Autoren steht der prominente und mehrfach ausgezeichnete Virologe George Gao, der vor kurzem von seinem Amt als Direktor des China CDC zurückgetreten ist, angeblich aus Altersgründen (mit 60 Jahren). Er hat viele Beziehungen ins Ausland und ist auch Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina

Die am 25/02/22 in Research Square, einer multidisziplinarischen Preprint-Platform, veröffentlichte Studie ist im Preprint-Stadium, also noch nicht von Experten in wissenshaftlichen Journalen begutachtet; die Reaktionen von Fachkollegen sind rar, obwohl das Datenmaterial viel benutzt wird, auch die Autoren der beiden vorigen referierten Studien tun dies. Hingegen wurde die Untersuchung von Regierungseinrichtungen  geprüft und genehmigt (was bei Veröffentlichungen chinesischer Autoren zur Ursprungsfrage der Pandemie erforderlich ist).

Die Autoren beschreiben den Wuhan-Markt, seine Aktivitäten und berichten über die Massnahmen des China CDC kurz nach der Schließung des Marktes, in erster Linie über die Proben, die genommen wurden. Die genetischen Analysen werden ausführlich dargestellt. Die Studie enthält in dieser Hinsicht grundlegende und aufschlussreiche Daten aus erster Hand sowie interessante Listen und Schaubilder. Auf Grund ihrer Analysen kommen die Untersucher aber zu teilweise anderen Schlussfolgerungen als die zitierten westlichen Teams. Mit ihnen stimmen sie überein, dass der Wuhan-Markt der Ausgangspunkt der raschen und großen Verbreitung des Sars-CoV-2-Virus sei. Sie  relativieren das allerdings, indem sie von einer "prevalence" des Virus (weite Verbreitung, Vorherrschaft) auf dem Markt sprechen, nicht einem Ursprung. Sie bestreiten aber die Schlüssigkeit der Hypothese einer Tierübertragung auf dem Markt. Sie verweisen darauf, dass in den Tierproben keine Sars-CoV-2- Viren gefunden wurden, dagegen aber vor allem an den von Menschen kontaktierten Gegenständen und Flächen. Von daher nehmen sie an, dass das Virus über die Wildtierhandelskette von Menschen in den Markt eingeschleppt wurde. Genomanalysen deuten auch darauf hin, dass es erst eine sehr nahe Vorform des Sars-CoV-2-Virus war, die auf Menschen übergriff und  sich dann in diesen zur vollen Angepasstheit entwickelte, also eine Ansteckungskette den Befunden im Markt vorausging. 

Die Autoren fassen am Ende der Studie zusammen:

"Somit könnte der Markt aufgrund der hohen Zahl der täglichen Besucher als Verstärker (amplifier) gewirkt haben, was zu vielen anfänglich identifizierten Infektionsclustern in der frühen Phase des Ausbruchs führte."

Um die "realen Ursprünge von Sars-CoV-2 aufzuspüren", fordern sie mehr "internationale Koordination", wobei sie auf "positive Ergebnisse von 2019 gesammelten Proben in retrospektiven Studien verschiedener Länder" hinweisen. Das ist ein sehr verfänglicher Satz, der wohl - ganz im Sinne der Regierungslinie - die Möglichkeit andeuten soll, dass das Virus auch von anderswo herstammen könne als aus China. Er könnte aber auch so verstanden werden, dass schon vor dem Markt und auch in China ein entsprechendes Virus aufgetreten sein könnte. 

Die Interessen, die die Studie leiten, sind nicht nur die Verhinderung zukünftiger weiterer Corona-Ausbrüche und anderer von Tieren abgeleiteter Pandemien, sondern auch - damit verbunden - die Überwachung (Surveillance) des Wildtierhandels, der ja ein bedeutender Wirtschaftszweig Chinas ist.

Kritisch haben westliche Experten in Twitter-Tweets kritisiert, dass die Originaldaten, auf die sich die chinesischen Forscher beziehen,  nicht einsehbar,  teilweise ungenau und möglicherweise unvollständig sind - oder sogar zensiert sein könnten. So findet man zwar eine Liste der nach der Schließung des Marktes gesammelten "animal samples", vermisst aber ein Verzeichnis der im Markt gehandelten Tiere und Produkte. Als anderes Beispiel sei ein klein erscheinendes  Versäumis (?) genannt, das aber aufschlussreich hätte sein können: es wurden kontaminierte Handschuhe gefunden, aber nicht angegeben, ob sie außen oder innen mit Viren behaftet waren. Dies wäre nicht ohne Bedeutung für die Frage menschlicher Eintragung oder tierischer Herkunft der Besetzng gewesen.

Ich möchte anmerken, dass auch diese Studie nicht über Korrelationen hinauskommt (zwischen kontaminierten Gegenstände und infizierten Menschen) und somit keinen stringenten Beweis für die Hypothese der Induzierung des Virus durch Menschen auf den Markt liefert.

Fazit zu den Untersuchungen: Dass der Wuhan-Markt ein massiver Ausgangspunkt der Pandemie war, dürfte sicher sein. Ob er der alleinige Ausgangspunkt war, ist nicht sicher, ebensowenig, dass dort der Übersprung von Sars-CoV-2-Viren auf Menschen stattfand. Die vorliegenden Daten lassen sich verschieden interpretieren, je nach Hypothese, die man zu bestätigen sucht. So ergibt sich eine mehr oder weniger hohe Wahrscheinlichkeit für die unterschiedlichen Thesen. Sie zu beurteilen, bleibt dem Rezipienten überlassen. Ein Türchen für die Laborunfallthese bleibt offen. 

Die unterschiedlichen Interpretationen der westlichen und der chinesischen Forscher lassen über Hintergründe nachdenken.

Man kann auch fragen, warum viele Virologen der Debatte um die Laborunfallthese ausweichen - wie die hier angeführten, die nur indirekt gegen sie argumentieren - aber wer wird schon eine Brandfackel in die eigene Hütte werfen wollen?

 

Warum diese Forschungen?

Abschließend mag gefragt werden, warum so viel Mühe und Kosten aufgewendet werden, um ein vergangenes Ereignis zu rekonstruieren. Das Virus ist nun einmal in die Menschenwelt eingetreten und man kann das, was es angerichtet hat, nicht rückgängig machen. Wäre es nicht besser, alle Kräfte zur Kompensierung bisheriger und Verhinderung weiterer Schäden einzusetzen? 

Die Autoren der referierten Studien führen dagegen an, dass sie diese Forschungen betrieben, um zu verstehen, "wie zoonotische Ausbrüche verhindert werden können, ehe sie zur nächsten Pandemie werden." (Worobey u.a.).

Tatsächlich hätte es enorme Auswirkungen, wenn sich herausstellte, dass es einen auf das Virologische Institut in Wuhan zurückgehenden Ausbruch des Sars-CoV-2-Virus gab. Allein die ungeklärte Frage ist längst zum politischen Streitgegestand geworden.  Eine solche Entdeckung würde zu schweren politischen Komplikationen führen, Hassreaktionen hervorbringen und den kalten Krieg zwischen China und den USA befeuern. Das ist nicht wünschenswert und darum sollte es auch bei einer etwaigen Bestätigung nicht gehen. So etwas kann in allen Laboren passieren und ist auch schon mit anderen Viren geschehen. Sinnvoll wäre es, wenn durch eine solche Entdeckung die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt würde und zu fragen begänne, was in virologischen Laboren geschieht. Dies könnte zu mehr Transparenz, zu schärferen Sicherheitsmaßnahmen und  Risikobegrenzungen führen. Tatsächlich lagert in den Laboren "explosives" Material, das genug Möglichkeiten für den Ausbruch von neuen Pandemien bietet. Versehentliche Infektionen von Mitarbeitern von Laboren sind bekannt geworden, so seinerzeit mit dem Sars-CoV-1-Virus in asiatischen Hochsicherheitslaboren. Ein Ausbruch der schon als besiegt erklärten Pocken in Birmingham 1978 ist wahrscheinlich auf ein Universitätslabor zurückzuführen, an dem an Pocken geforscht wurde. Der Laborleiter brachte sich nach dem Vorfall um.

Virologen sind gegenüber einer Kontrolle ihrer Labore und Reglementierung ihrer Untersuchungen meist skeptisch eingestellt, vor allem, wenn dies durch Nichtfachleute geschehen sollte. Sie könnten  die tatsächlich sehr fachspezifischen Tätigkeiten von Virologen nicht beurteilen - so wird von Virologen eingewandt.   Der Umgang mit gefährlichen Viren und Bakterien gehört zu ihrem Geschäft, genauso wie die experimentelle Veränderung oder Rekonstruktion von Viren. "Gain-of-Function" findet allenthalben statt. Dies ist wahrscheinlich unentbehrlich für das Verständnis von Krankheitserregern,  die Entwicklung von Impfstoffen, Medizinen, Bekämpfung von Krankheiten und Seuchen, kann aber auch missbraucht werden, etwa zur Entwicklung von Biowaffen.

Doch auch die Bestätigung der "Wuhan-Markt-Ursprungs-Hypothese" hat viele Implikationen. Sie macht auf die Gefahr von Zoonosen aufmerksam und stößt die Frage an, wie sie verhindert oder reduziert werden können. 

Tiere können eine Menge an gefährlichen Krankheitserregern beherbergen, die in der Lage sind, auf Menschen zu überspringen. Dies trifft nicht nur auf in Asien lebende Wildtiere wie Fledermäuse, Flughunde, Marderhunde, Larvenroller u. a. zu, sondern gilt auch für bei uns lebende, einheimische oder eingeführte, zivilisationsferne oder -nahe Tiere: Vögel, Füchse, Nerze, Ratten, Mäuse ... Nicht zu vergessen ist eine Gattung, die überall zu finden ist: Gliederfüssler; zu ihnen gehören Insekten und Spinnentiere, Mücken und Zecken. Der legale oder illegale Tierhandel öffnet die Grenzen für Tiere aus fernen Ländern und mit ihnen für bisher ungewohnte Krankheitserreger. Auch Haustiere sind potentielle Überträger, Rinder Schweine, Hühner ... Viele Krankheiten und Seuchen lassen sich auf Tiere zurückführen: Pest, Tuberkulose, Tollwut, Aids, Malaria, Grippe (Ursprung: Vögel),  Ebula, Hanta ... und den meist unangemessenen Umgang mit Tieren, wenn auch andere Faktoren eine Rolle spielen. 

Zoonosen sind mit ökologischen und politisch-sozialen Umständen eng verflochten. Die Einengung und Zerstörung der Lebensräume von Wildtieren führt zu vermehrten Kontakten mit Menschen und damit zu Krankheitsübertragungen; Intensivierung der Landwirtschaft, industrielle Emissionen und Umweltverschmutzung vernichten eine ausgleichende Artenvielfalt; Massentierhaltung begünstigt Tierkrankheiten, die auch auf Menschen überspringen können; der  Klimawandel verändert Lebensbedingungen von Erregern und Überträgern von Zoonosen, führt z. B. zum Eindringen von krankheitsübertragenden Mücken in bisher von ihnen unbesiedelte Gebiete; Nahrungsmangel in armen Ländern nötigt zum Verzehr von infiziertem Fleisch; dichte Besiedlung und Armutsviertel machen es Krankheitserregern leicht, sich auszubreiten; Flugreisen verteilen begrenzte Infektionsausbrüche rasch über die ganze Welt und lassen sie zu Pandemien werden ...

Ob Menschheit und Politik sich diesen Gefahren zuwenden oder sie ignorieren, ob Lösungen gefunden und umgesetzt werden oder dies ausbleibt, ist nicht gleichgültig.


 

 

 



 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ein Zwischenresümee zum Corona-Infektionsgeschehen, Krisenmanagement und zur politischen Ethik

Impfung schwächt das Immunsystem? - Stimmt das? Ein Überblick über das derzeitige Corona-Geschehen